Stehwellenverhältnis

Bild 1: Ersatzschaltbild einer an einen Generator angeschlossenen Leitung

Bild 1: Ersatzschaltbild einer an einen Generator angeschlossenen Leitung
Stehwellenverhältnis
Stehwellenverhältnis (engl.: Voltage Standing Wave Ratio, VSWR) ist ein Maß für die Anpassung einer Last (z.B. Antenne) an eine Leitung.
Stehwellen entstehen in Leitungen, wenn diese fehlangepasst betrieben werden. Herrscht in einem HF- System überall Anpassung, so wird die gesamte Leistung von der Quelle bis zum Empfänger verlustlos übertragen. Da in der Praxis jedoch nie die absolute Anpassung erreicht werden kann, beschäftigt sich die Technik mit den Problemen, die bei Fehlanpassung auftreten.
Dazu bedient sie sich der Einfachheit halber zweier Extremfälle der Fehlanpassung:
- der am Ende kurzgeschlossenen Leitung und
- der am Ende leerlaufenden Leitung.

Bild 2: Zeitlicher Verlauf der Spannung auf einer HF- Leitung (sogenannte „Wanderwelle“)

Bild 2: Zeitlicher Verlauf der Spannung auf einer HF- Leitung (sogenannte „Wanderwelle“)
Bevor diese Sonderfälle näher betrachtet werden, ist zu klären, was theoretisch in einer unendlich langen Leitung vorgeht, wenn eine HF- Schwingung eingespeist wird. Es soll Leistungsanpassung vorliegen (Ri = ZL).
Im Moment des Einschaltens beginnt der Generator seine Leistung auf die Leitung zu schicken (siehe Bild 2). Zum Zeitpunkt t = 0 soll die Spannung ihren Minimalwert haben. Dieser Spannungswert wandert mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle die Leitung entlang. Diese Welle wird Wanderwelle genannt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass an jedem Punkt der Leitung qualitativ das gleiche Signal gemessen werden kann.
Leitungsanpassung
Wenn die Leitung mit einem Widerstand Ra abgeschlossen ist, der so groß ist wie der Wellenwiderstand ZL der Leitung, wird die gesamte Leistung im Widerstand Ra umgesetzt.
Ist die Leitung kurzgeschlossen, dann wird die gesamte ankommende Leistung reflektiert. Ist das Leitungsende offen, das heißt, der Abschlusswiderstand geht gegen Unendlich, dann wird die Leistung ebenfalls komplett reflektiert. Zusätzlich entsteht bei diesem Fall ein Phasensprung von 180°.

Bild 3: Eine an einen Generator angeschlossene fehlangepasste Leitung

Bild 3: Eine an einen Generator angeschlossene fehlangepasste Leitung
Fehlanpassung
Was geschieht mit einer Welle, wenn keine Anpassung herrscht, aber auch kein direkter Kurzschluss oder ein Leerlauf vorliegt, z.B. bei einem Abschlusswiderstand von 50 Ω an einem Leitungssystem von 75 Ω ?
Der Generator liefert die Leistung Pgen. Diese teilt sich am Punkt 1 nach folgender Gleichung auf:
PRi = PZL = ½ Pgen |
Die Leistung PZL = Phin wandert entlang der Leitung und erreicht den Widerstand Ra. Dieser ist aber kleiner als bei Anpassung. Er kann also nicht die gesamte Leistung aufnehmen und in Wärme umwandeln. Es bleibt ein Teil von PZL übrig, der am Punkt 2 reflektiert wird und zum Generator als Prück zurückwandert.
Dann und immer dann, wenn ZL ungleich Ra ist, wird ein Teil der hinlaufenden Welle reflektiert, unabhängig davon, ob Ra > ZL oder Ra < ZL ist. In diesem Fall spricht man von Fehlanpassung.
Interferenz
Das hinlaufende Signal (blau) und das rücklaufende Signal (hellblau) überlagern sich Je nach Phasenlage von hin- und rücklaufender Welle können sich beide Wellen zu einer größeren addieren oder zu einer geringeren subtrahieren. Dadurch bilden sich auf dem Kabel in regelmäßigen Abständen örtlich konstante Spannungsmaxima Umax (Wellenberge) und Spannungsminima Umin (Wellentäler) aus. Bei extremer Fehlanpassung, beispielsweise dann, wenn das Kabel am Ende offen oder kurzgeschlossen ist, entsteht eine Totalreflexion die dazu führen kann, dass sich die beiden Wellen zu einer doppelt so großen Welle addieren oder sich gegenseitig auslöschen. Weil sich nun die Spannung der stehenden Welle auf den doppelten Wert der Ausgangsspannung erhöht, kann diese Spannung im Generator, der fehlangepasst betrieben wird, die Ausgangsstufe überlasten und sogar unter Umständen zerstören.

Bild 4: Entstehung einer stehenden Welle durch Überlagerung der vorlaufenden mit der rücklaufenden (reflektierten) Welle

Bild 4: Entstehung einer stehenden Welle durch Überlagerung der vorlaufenden mit der rücklaufenden (reflektierten) Welle
Um den Grad der Fehlanpassung in der Praxis besser in den Griff zu bekommen, wurde der Reflexionsfaktor r und das Stehwellenverhältnis s (engl.: VSWR = voltage standing wave ratio) definiert. Es wird aus dem Verhältnis von maximaler zu minimaler Spannung errechnet. Die maximale Spannung entspricht der Summe aus der hin- und rücklaufenden Spannung, die minimale Spannung wird aus der Differenz beider Spannungsanteile ermittelt.
|r| = | Urück | = | |Ra-ZL| |
Uhin | |Ra+ZL| |
s = | Umax | = | Uhin · (1+r) | = | (1+r) |
Umin | Uhin · (1-r) | (1-r) |
Ein Stehwellenverhältnis von 1,00 entspricht also einer optimalen Anpassung. Bei Fehlanpassungen steigt der Zahlenwert des Stehwellenverhältnisses an. Ein Stehwellenverhältnis von 1,1 bis 1,2 ist noch ein recht guter Wert. Bei totaler Fehlanpassung geht das Stehwellenverhältnis nach unendlich.
Messtechnisch entsteht jetzt ein Problem: nicht an jeder Stelle der Leitung ist das Signal (im Bild 4 der rote Graph) mit der gleichen Qualität messbar. Es gibt Stellen, an denen das Signal einer stehenden Welle gut messbar ist und es gibt Stellen, an denen es weniger gut, vielleicht sogar überhaupt nicht messbar ist.
Da sich ab etwa 1 GHz Leistungen besser messen lassen als Spannungen, findet in der Höchstfrequenztechnik das Leistungsstehwellenverhältnis (PSWR) Anwendung. Der Name ist allerdings missverständlich, da die Leistungsverteilung auf dem Kabel nicht dem gezeigten Spannungsbild folgt.